On forgiveness
Vergebung. Vergebung ist ein Akt der Nächstenliebe und wird gerne als der große heroische Akt des Opfers gefeiert, ohne den keine Heilung stattfinden kann. Gerne wird dabei die Verantwortung des Täters/Verursachers vergessen. Wird der Vergebung wegen vergeben oder um sich selbst als die große nachgebende Person darzustellen, finde eine Verleugnung des Selbst statt.
In Psychotherapien oder AA-Gruppen wird mitunter die Vergebung als Ziel gesetzt; Die schnell machen, dann wird alles gut. Vergessen wird dabei die u. U. versteckte und vergrabene sehr große Wut und gerade Trauer im Opfer. Sie wird mit diesem Handeln übergangen und dem anschließenden Selbsthass wird eine Grundlage gegeben. Es muss einen Verantwortlichen für die stattgefundenen Taten geben – z. B. ein im Alkoholrausch schlägernder oder auch nüchtern missbrauchender Vater oder auch eine schlägernde Mutter ist möglich. Es war seelische oder körperliche Gewalt, die dem Opfer zu gefügt wurde und die stattgefunden hat. Eine Verarbeitung dessen hat beim Opfer noch nicht stattgefunden. Die unterdrückte Wut und Trauer erzeugen Rachegefühle und Hass auf den Verursacher und sie wird zu den bestimmenden Gedanken. Die Taten werden immer und immer wieder durchgegangen und Szenarien der Rache ausgemalt – immer und immer wieder.
Dieses Verhalten verhindert ein normales, befriedigendes und in Zufriedenheit umsetzbares Leben des Opfers. Daher sind bei einer Vergebung zwei Anteile zu unterscheiden. Primär gilt es als Ziel diese schädigenden Rachegedanken zu verringern und auf der anderen Seite sollte und darf der Täter/Verursacher aber in keinster Weise von seiner Verantwortung frei gesprochen werden. Das Opfer als jetziger Erwachsener konnte für die ihm/ihr als Kind zugefügten Taten nichts. Verantwortlich waren und sind immer noch die Eltern oder der ausführende Erwachsene. Findet diese Trennung nicht statt und wird dem Opfer nicht aufgezeigt, dass es als Kind keine Schuld daran hatte, es wird in eine Rache-Karussellfahrt der Gedanken übergehen und damit im weiterhin selbstschädigenden Verhalten bleiben.
Benediktiner-Pater Anselm Grün beschreibt den Weg zur Vergebung z. B. als Distanzierung von den eigenen Emotionen. So unterscheidet er eben zwischen schädlichem Zorn und heilsamer, vor seelischer Kränkung schützender Wut. Eine Vergebung sollte also auf dem Weg stattfinden, dass ein Zugang zur eigenen, vergrabenen Wut und Trauer stattfindet, sich aber von den Rachegedanken/Gelüsten distanziert wird. Daher: Bedürfnis nach Rache aufgeben, Ja! Den Täter/Verursachen von seiner Verantwortung befreien, Nein!
In einer Therapie ist daher ein Druck auf das Opfer, dass es jetzt unbedingt vergeben muss – in beidem – kontraproduktiv. Ziel führender ist es, zunächst die Wut und die Trauer zuzulassen und darüber zu trauern, dass man als Kind nicht die notwendige elterliche Liebe erhalten hat. Wut kann ein ebenfalls sehr aufwühlendes Gefühl sein, ist aber völlig normal und jeder hat ein Recht darauf, man ist deswegen nicht schlecht oder unzureichend. Destruktiv ist sie aber, wenn sie ausschließlich nach innen gerichtet ist und dann selten explosiv wie ein Vulkan unvermittelt hochkommt. Ebenfalls kann eine konsequente Unterdrückung in eine Depression führen oder das Opfer wird selber zum Alkoholabhängigen. Aus dem Unterbewussten rausholen ist hier der Weg und sie in normalen Bahnen zuzulassen.
Das Gefühl Wut ist ein normale, menschliche Emotion, die immer dann eintritt, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt wurden oder eine Grenze überschritten wurde. Ein Training von Selbstfürsorge ist von Nutzen, da hier das Bedürfnis oder die Grenzüberschreitung in Sprache kommuniziert wurde. Das weitere normale und menschliche Gefühl Trauer ist auch bei Männern erlaubt und auch sie sollten die Trauer darüber zulassen, dass sie als Kind notwendige Liebe der Eltern erhalten haben. Trauern ist Arbeit und mit Unterstützung in der Aufarbeitung einfacher. Manchmal steht hier auch eine Angst vor der Trauer im Weg, weil Unbekanntes hochkommen kann.
Abschließend ist der Weg der Vergebung also ein Verarbeiten der unterdrückten Trauer und Wut, um die Rachegefühle auf den Täter/Verursacher tatsächlich aufzugeben. Um im weiteren den u. U. weiterhin schädlichen Einfluss des Täters/Verursachers zu reduzieren, ist Klarstellung der Verantwortlichkeit notwendig. Sie lag und liegt nicht beim Opfer. Eine Mitteilung dessen an die Eltern kann in einer gut vorbereiteten Konfrontation erfolgen, um sich aus deren Einfluss zu befreien. Hier gibt es auch den Begriff der „Giftigen Eltern“, den unter anderem Susan Forward geprägt hat. Das Opfer lernt eine Selbstdefiniertheit und „befreit“ sich aus dem Verhalten der Eltern.
Vergebung dient ausschließlich dem Opfer – niemandem sonst. Jeder ist für sich selbst verantwortlich – auch die eigenen Eltern oder der Täter. Trauer, Wut und Angst sind menschlich Emotionen – normale Emotionen.
Buchempfehlung:
Das Prinzip Selbstfürsorge – Dr. med. Tatjana Reichhart
Emotionale Erpressung- Susan Forward
Vergiftete Kindheit – Susan Forward