Geschichten

Bobby-Luisa und das Loslassen

Der nächste Tag war nicht einfach für Bobby-Luisa, er war in Gedanken immer noch bei dem „Retten“ und war dort so gedankenverloren, dass er mehrfach stolpert und fast stürzte. Genau heute wanderten sie nicht einen Forstweg oder an der Straße entlang, sondern einen engen Wanderweg durch bergige Landschaft. Der Weg hatte immer wieder Wurzeln, Steine und Stufen und eigentlich hätte er sich voll auf den Weg konzentrieren müssen – er fluchte immer wieder. Franz war genervt dadurch und die regelmäßigen Fast-Stürze, irgendwann ging er weit vor ihm. Dabei war er selber der gewesen, der den Fobbster mit dieser Frage und Hinweis in dieses Zweifeln und sich Gedanken machen getrieben hatte.

Für ihn selber war das völlig klar, dass andere Menschen und Tiere für sich selbst Verantwortung haben und man mischt sich da nicht ein, Punkt. Man kann andere Wesen nicht retten, sondern nur lieben. Selbst der Buddha wusste schon: „Niemand rettet uns, außer wir selbst. Niemand kann und niemand darf das. Wir müssen selbst den Weg gehen.“ … also warum versteht er das dann nicht. Es einfach verstehen – ist nicht schwierig.

So einfach und bewusst war das nicht für Bobby-Luisa. Er hat es sein bisheriges Leben teilweise eben fast immer machen müssen. Er musste die Kinder trösten, wenn die Eltern sich mal wieder gestritten hatten. Er schaute ab und zu auch nach der Mutter, krabbelte abends zu ihr auf das Sofa, wenn sie dort weinend in den Kissen lag. Niemand sorgte sich um ihn, aber er um alle anderen. Es wurde von ihm erwartet. Es kam vor, dass eines der Kinder – als sie noch kleiner waren – sich einfach zu ihm in das Körbchen legten und mit ihm kuschelten. Er schlief teils noch, wachte dann auf und kuschelte mit, ob er wollte oder nicht und gefragt wurde er nicht – nie. Ein umschlingender Arm eines auch noch kleinen Kindes kann schon ziemlich kräftig sein. Es wurde selbstverständlich erwartet, er musste andere trösten, sie wieder fröhlich machen oder vor versammelter Familie musste er auch gerne mal Kunststücke vorführen, den Clown spielen oder sich lächerlich machen, damit alle lachten. Warum ist das jetzt falsch? Er versteht das nicht. Warum sagt ihm Franz das so direkt?

Viele Jahre hat er eine Realität als normal angenommen, eine Erwartung wurde an ihn herangetragen und er nahm an, es würde überall in allen Familien so sein, für alle Einhörner in Menschenfamilien so sein. Warum ist etwas, was er ja mit gutem Gewissen und den Menschen etwas gutes getan zu haben und was er gelernt hatte, jetzt so falsch? Warum soll es sogar als übergriffig gelten? Er ist doch für andere Menschen da? Warum ist das jetzt falsch?

Bevor er reagieren konnte, stolperte er, stürzte zur Seite und rutsche im Wald einen Abhang mehrere Meter runter, sein Beutel blieb weiter oben hängen. Im Laub versucht er sich aufzurappeln auf seine vier Läufe und rief erstmal Franz, er solle gefälligst warten. Der kam schnell zurück, um zu schauen was passiert war, sah das Malur und auch, dass Bobby-Luisa generell okay war. Dann setzte er ein breites Grinsen auf und konnte ein Lachen fast nicht mehr verhindern bevor er begann zu fragen: „Soll ich Dich jetzt retten?“ Als Antwort bekam er ein: „Nein Du Depp, das ist übergriffig! … jetzt hol mich gefälligst hier raus.“ Beide lachten herzhaft, dann schafften sie es zusammen und kurz drauf gingen beide wieder mit Beutel auf dem Rücken weiter. Dieses Mal zusammen und der Fobbster grübelte erstmal nicht mehr.

Den restlichen Tag wanderten sie gemeinsam weiter und unterhielten sich ab und zu und da eben über andere Themen. In der Nacht hatten sie einen schönen Schlafplatz und hatten sich ein Feuer in einer Grillstelle gemaht. Beide unterhielten sich nochmal über das Retten und irgendwie kamen sie darauf, dass man retten sollte, wenn es notwendig ist – also jemand wirklich in Gefahr ist. Genauso kann ein zu starkes darüber Grübeln, ob man nun Hilfe braucht oder sie jemand anderes anbieten sollte, zum Absturz führen – im wahrsten Sinne des Wortes. Ebenfalls gibt es Situationen, da kommt man nur zu zweit raus und man muss um Hilfe bitten – können oder es als Außenstehender zumindest anbieten. Wird dieses verneint, dann ist es ein Nein.

Achtsam durch das Leben und die Welt zu gehen ist wichtig und eben auch mal schauen, wie es einem selbst und es dem anderen geht. Dann fragen ja, direkt handeln nein.

„Das Nein ist genauso wichtig wie das Ja. Es ist Voraussetzung, um effektiv Ja sagen zu können. Wer an einer Stelle eine Zusage macht, muss an anderer Stelle Nein sagen. In diesem Sinne steht das Nein vor dem Ja.“

[William Ury, Die Kunst, Nein zu sagen, S. 20]

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