Berggasthof Neureuth
Geschichten

Bobby-Luisa und die Suche

Bobby-Luisa und Franz saßen am Abend auf dem Platz von Josef. Es war ihnen zur Gewohnheit geworden abends dort zu sitzen – so konnten sie ihm weiterhin ein bisschen nahe sein. Sie sagten nichts, saßen einfach nur dort und schauten in die noch erleuchtete Ebene, die Sonne stand tief und ging über die angrenzenden Berge langsam unter.

„Wo ist eigentlich dein Zuhause?“ fragte Bobby-Louisa unvermittelt in die Stille. Franz schreckte etwas hoch, schwieg, stammelte etwas und schwieg wieder. Er hatte keine Antwort. „Ich hab auch keine Antwort.“ musste Bobby-Luisa zugeben. Es verging eine Weile, beide dachten nach, sie fühlten fragend in sich hinein und suchten. Sie suchten etwas, was sie beide nie erleben durften, einen Ort zu spüren, an dem sie nicht in Frage gestellt wurden, nicht vor etwas flüchten mussten und sie eben eine Gemeinschaft empfinden konnten.

Beide waren früh aus ihren Einhorn-Familien herausgenommen worden. Franz kannte nur die immer mehr zerbrechende Menschen-Familie mit dem gewaltätigen Jungen, der ihn mit seinem Kumpel quälen und umbringen wollte. Bobby-Louisa kannte ebenfalls nur eine auseinander fallende Menschen-Familie, wo er vor lauter Eheproblemen der Eltern und größer werden der Kinder einfach vergessen wurde und alleine war. Beim Auszug aus dem Haus – also eigentlich ein mögliches Zuhause – wurde er weder darüber informiert, noch beachtet. Eine Gemeinschaft hatten beide nicht mehr empfunden, gefragt wurden sie nicht und schließlich sind beide geflüchtet. Aber ist ihr neues Zuhause ein Zuhause? Waren sie nicht geflüchtet, sondern weggelaufen?

Ein paar Tage später, beide hatten im Wald etwas gesucht und waren auf dem Rückweg nach Hause, da fragte Franz Bobby-Luisa: ”Was ist überhaupt ein Zuhause?” Bobby-Luisa überlegte kurz: ”Weißt Du, es ist ein Ort, an den Du gerne zurückkommst, an dem Du keine Maske tragen musst, an dem Du dich nicht andauernd erklären musst. Du kennst jeden Winkel, es gibt keine Überraschungen und wenn, dann lustige von einem lieben Wesen, mit dem Du diesen Ort teilst. Du hast keine Angst und wenn Du welche hast, kannst Du sie mit einem lieben Wesen teilen. Manchmal lebt man an einem solchen Ort auch alleine, dass ist nicht schlimm. Du kannst an diesem Ort Du selbst sein. Du fühlst Dich wohl, die Räume sind so eingerichtet, wie es für Dich passt, Du es als wohlig empfindest – der Seele freien Laufen lassen, auch sie kann sich hier wohl und sicher fühlen.”

„War das Gefühl des Zuhauseseins früher mit dem konkreten Ort verbunden, aus dem wir stammen, ist es heute eher mit einem imaginären Ort verknüpft, zu dem wir hinwollen. Zuhause ist in zwischen etwas, so Pico Iyer, das wir uns in einem lebenslangen Prozess suchen und selbst aufbauen müssen: gleichermaßen ein realer wie ein innerer, ein spiritueller und sozialer Ort, an dem wir uns aus Gründen, die uns nicht einmal bewusst sein müssen, niederlassen. Im kollektiven Verständnis von ‚Zuhause‘, lange Zeit gleichbedeutend mit ‚Herkunft‘, scheint es nunmehr vor allem um diese Suche zu gehen, um eine der vielleicht wesentlichsten Suchen überhaupt: nach einer Gemeinschaft, einer Familie und einem inneren Einklang mit der Welt. Nach einem Ort, an dem eine Flucht ein Ende findet oder an dem man aufhört wegzulaufen. Nach einem Ort, der die Möglichkeit birgt, bei sich selbst anzukommen.“
[Daniel Schreiber, Zuhause, S. 14]

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