Geschichten

Bobby-Luisa und der Weg

Die Sonne war gerade aufgegangen, sie hatten ein paar wenig Habseligkeiten in Beutel gepackt und sich gegenseitig auf die Rücken gebunden. Ihre Körbchen würden sie zurücklassen, zurücklassen müssen – sie sind einfach zu groß. Vielleicht wird der Förster sie ins Forsthaus mitnehmen, da bleiben sie zumindest erhalten. Es war ein Abschied, ein Abschied von ihren Körbchen, die gerade am Anfang immer ein sicherer Rückzugsort war, ein Stück Zuhause und es war klar, hier schlafe ich und jeden Abend war klar, wo ich schlafe. Das wird es ab jetzt nicht mehr geben, jeden Abend werden sie einen neuen Schlafplatz suchen müssen, einen neuen suchen müssen, kein Zuhause haben. Ein Umgewöhnung wird es werden, aber vielleicht suchen die beiden auch genau diese.

„Jeder Abschied bringt die Entscheidung zum Ausdruck, etwas gehen zu lassen, was wir nicht auf- oder festhalten können.“ [1]

Diese Entscheidung hatten sie getroffen, sie war in ihnen gewachsen und eben nicht mehr zu verleugnen. Aber sagen sie nun Abschied zu ihrer Koppel, dem Schober und ihren Körbchen oder haben sie davor schon zu etwas anderem Abschied genommen, was sich eben nicht mehr aufhalten, ja fast aushalten lies? Es war vielleicht ein Abschied im Inneren und jetzt folgt ein Lösen und Abschied im Außen und es hält sich nichts mehr hier. Aber wird hier ein Lösen, eine Lösung im Außen benötigt?

Mit Tränen in den Augen gingen sie durch das Gatter der Koppel und schauten auf den ersten hundert Metern immer wieder zurück. Sie hatten Abschied gesagt zum Platz von Josef, zum Ausblick ins Tal, zum Heuschober und zur Koppel – sie war so leer und verlassen gewesen in den letzten Monaten. Ein letztes Mal schauten sie sich um, dann gingen sie in den Wald hinein und achteten nur grob auf die Richtung, ihre Gefühl lies sie leiten, in welche Richtung sie gingen.

Die ersten Tage waren merkwürdig. Es war ungewohnt, einen immer neuen Schlafplatz zu suchen. Ungewohnt, immer wieder neu Futtermöglichkeiten zu finden. Ungewohnt waren die vielen neuen Eindrücke. Sie trafen viele Tiere unterwegs, ein paar Menschen schauten etwas merkwürdig oder überrascht, mit ein paar hatten sie sehr angenehme Gespräche. Ungewohnt war es, jeden Tag unterwegs zu sein, körperlich mussten sie sich erst darauf einstellen, manchmal machten sie aber auch einfach lange Pausen und sich keinen Stress. Es gab kein festes Ziel, dass sie in einer bestimmten Zeit erreichen mussten. Alles war möglich, alles ging, nichts musste.

Die Entscheidungen mit der Richtung und nach Gefühl erzeugte manchmal auch Diskussionen zwischen den beiden. Mal wollte der eine lieber im Wald bleiben, der andere lieber die Anhöhe mitnehmen. Mal war dem einen nach Menschen und Tiere und Kommunikation, der andere wollte einfach seine Ruhe haben. Gleich war ihnen, dass sie sich fast immer über einen See oder Bach freuten. Sie konnten trinken und schwammen ehe beide gerne. Schöne Momente gab es immer wieder, wenn sie an Pferdekoppeln vorbeikamen und die Pferde oder auch mal Esel fragten, wo sie herkamen und wo sie hinwollten. War es abends, bekamen sie sowieso dort einen Schlafplatz und Futter. Gestüt-Betreiber oder Bauern waren eh fast immer freundlich, deren Hunde meistens. Einmal hatten sie mit dem Schäferhund auf einem Hof kein gutes Erlebnis, um ein Haar hätte er Franz gebissen, aber der Bauer kam rechtzeitig und pfiff ihn zurück. Es mag wohl doch nicht jeder Einhörner.

Sie stellten sich ab und zu die Frage nach der getroffenen Entscheidung einen Abschied zu wählen. War es richtig gewesen? Was sie nicht mehr fest- oder aufhalten konnten – es war definitiv ein Loslassen gewesen. Ein Gehen-Lassen und manchmal geht man im Außen zuerst, weil es im Innen noch „hängt“. So war es wohl bei ihnen beiden gewesen. Sie hatten genau genommen nur gespürt, dass es im Innen nicht weiter geht und sie eine Bewegung brauchen. Einen Weg und neue Eindrücke, Erlebnisse und eine Verarbeitung. Was hatten sie aber nun verloren, hatten sei etwas verloren, gab es einen Verlust?

„Das Schwierigste an den uneindeutigen Verlusten des Lebens allein ist nicht die Trauer um die fehlende Beziehung. Das Schwierigste ist der Abschied von all den Fantasien, die man für sein Leben hatte, den vielen selbstverständlichen Vorstellungen. Man betrauert ein Lebensmodell, das einem nicht nur überall vorgelebt wird, sondern das mann auch selbst verinnerlicht hat.“ [2]

Warum waren so viele Dinge im Leben so uneindeutig? Warum gab es meistens mehr Fragen als Antworten? Waren Fragen an sich nicht gut, so bewege sich doch etwas – nur offene Fragen ohne Antworten verunsichern auch. Viele Fragen regen die Fantasie an … nur was, wenn die Antworten zusammen genommen doch eigentlich das eigene Leben bedeuten? Das eigene zu lebende Leben … was wenn wir vorher keine Antworten finden, leben wir dann das Leben? Haben wir rückblickend gelebt? … wieder Fragen. Die beiden mochten die Scheune, in der sie gerade schliefen, im Stroh neben einem Pfohlen und eine Katze gesellte sich zu ihnen.

[1] Ina Schmidt, Über die Vergänglichkeit – Eine Philosophie des Abschieds, S. 25
[2] Daniel Schreiber, Allein, S. 84

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert