Geschichten

Bobby-Luisa und die Wut

Bobby-Luisa war den Vormittag über irgendwie aufgekratzt und dünnhäutig gewesen, nur schnippisch geantwortet, gar nicht bei sich. Franz ging ihm aus dem Weg, jeder machte sein Ding. Lag etwas im Weg, wurde es wütend weggetreten. Egal was es war, es war Schuld und es war es war ihm auch egal, wenn es weh tat an den Hufen, es wurde weggetreten. Franz fragte ihn irgendwann, was los sei? Er blaffte nur wütend zurück, er solle sich um seine eigenen Dinge kümmern.

Warum diese Wut? War da eine Wut auf Josef?

Nach einem Spaziergang war er im Wald an seinem Grab auf der Lichtung. Wut und Traurigkeit kamen abwechselnd hoch, es überwältigte ihn und er war alleine. Niemand war da, dem er seine Gefühle hätte schildern können, einfach niemand. Er war hier alleine. Worte kamen in ihm hoch – an Josef und so erzählte er ihm einfach diese Dinge. Wie er sich fühlte, wie es ihm ging, wie sehr er ihn vermisste. Dieser hörte ihm zu, still.

Wut stieg in ihm hoch, wie konnte Josef ihn nur alleine lassen? Bobby-Luisa trat mit voller Wucht gegen den Findling, der den Grabstein symbolisierte … und schrie auf! Er hatte sich richtig weh getan dabei, Blut lief am Huf runter. Es tat weh – so weh! Der Schmerz stieg hoch und durchfuhr ihn und wollte nicht vergehen. Er stand dort auf drei Beinen und schüttelte ab und zu das vierte schmerzende, leckte vorsichtig die Wunde ab. Dann schossen ihm die Tränen in die Augen, er weinte, weinte bitterlich und schrie! Er schrie mehrfach und solange er konnte – er schrie alles raus! Den ganzen Schmerz, den ganzen Schmerz über den Tod von Josef, den Schmerz wie die Familie ihn behandelt hatte, der Junge ihn immer mehr missachtet, ihn geschlagen und verletzt hatte und vor allem seine Seele verletzt hat. Die Wunde ist immer noch da, sie ist noch nicht verheilt. Eine Narbe wird bleiben, sie wird immer spürbar sein.

Die Schreie waren verhallt im Wald, das letzte Echo verklungen. Gehört hatte sie niemand, es waren nur er und Josef dort – und die Bäume. Sein Huf schmerzte immer noch, doch der innerliche Schmerz machte ihn jetzt wieder wütend, Energie kam hoch. Er musste sie rauslassen! Ein weiteres Mal irgendwo gegen treten schien ihm nicht so schlau … also rannte er los. Er galoppierte durch die Bäume, einen Weg suchend, versuchte nicht zu stolpern, er galoppierte und galoppierte. Auf einem Hauptweg konnte er dann richtig Gas geben, seine Zunge hing ihm raus, er keuchte, versuchte genug Luft zu bekommen, er schwitzte, den Schmerz im Huf vergaß er und galoppierte!

Es verging eine Weile, er bekam nicht mehr genug Luft, alle Muskeln schmerzten, die Energie wurde weniger und er wurde langsamer. Schließlich trabte er nur noch, wechselte in den Tölt, dann ging er und blieb stehen. Hielt einen Moment inne und sank zusammen – dort wo er stand. Er sackte förmlich zusammen, es war keine Energie mehr da, keine Kraft mehr vorhanden. Der Kopf sank zwischen die Vorderhufen und er schnaufte noch einen Moment, dann war der Atem wieder ruhig und es kehrte eine Ruhe ein, eine Stille. Auch in ihm bemerkte eine Stille – war es ein Frieden? Eine Träne kullerte aus seinem Auge und fiel auf den Waldboden. Sie löste sich auf.

Es war bereits dunkel als Bobby-Luisa sich auf den Heimweg machte. Etwas schauen musst er, wo er überhaupt war, aber anhand der Sterne und Stand vom Mond fand er wieder zurück. Der Wald war ihm ja zudem nicht unbekannt. Zwei Rehe begleiteten ihn ein Stück, schweigend und doch vertraut. Zurück auf der Weide und am Heuschober lag Franz bereits in seinem Körbchen, „Alles okay?“ „Ja, ich erzähle es Dir morgen. Schlaf gut.“ Sein eigener Schlaf war in dieser Nacht tief und fest.

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