Geschichten

Bobby-Luisa und der Spaziergang

Es vergingen ein paar Tage, die Wunden an Franz verheilten gut und es gab keine Komplikationen. Er ruhte sicht hauptsächlich aus, Fobby tobte ab und zu draußen rum und Josef machte meistens das normalste der Welt, in die Ebene schauen.

Gemeinsam mit Fobby erkundete Franz immer mehr die Umgebung, die gesamte Koppel, sie sahen auch mal den Förster und unternahmen kleine Erkundungen in den Wald. Ab und zu fetzten sie einfach über die Koppel. Franz musste noch etwas aufpassen und manchmal zwickten die Wunden, aber es macht einfach viel zu viel Spaß hier in der Natur, in Freiheit, unter freiem Himmel das Leben zu leben. Nichts war düster, kein dunkles Reihenhaus, keine Enge, keine gehorchen müssen … Sie konnte hier machen was sie wollten.

Beide beschlossen einen längeren Spaziergang durch den Wald zu machen. Fobby kannte sich durch die Wanderung zum alten Gestüt mittlerweile recht gut aus dort. Zunächst hatten sie gedacht, Justus zu fragen, aber sie wollten dann doch unter sich bleiben. Und am nächsten Morgen machten sie gemeinsam los und spazierten in den Wald. Josef wusste Bescheid.

Franz war wütend. Es tat einfach zu sehr weh, was die Jungs ihm körperlich angetan hatten und damit auch seelisch. Er war nicht nur zu ihrem Spiel-Objekt degradiert worden, nein, sie nahmen es sogar in Kauf, dass er verletzt oder dabei hätte sterben konnte. Warum machen die so was? Spüren die selber denn gar nichts mehr, spüren, dass sie ein Lebewesen verletzen – körperlich wie seelisch? Er wollte nicht wissen, wie die Jungs mit ihren Müttern umgehen. Die würden sie wahrscheinlich auch schlagen oder auch deren Tod in Kauf nehmen, so wenig spüren sie sich mehr. Die Katze hatte er ja schon auf dem Gewissen. Er verstand es nicht, wie jemand so kalt werden kann. Ein Seele aus Eis, ohne Empfinden, einfach nur Wut, Gewalt und Gewaltspiele … die dann in der Realität ausgelebt werden. Er war traurig. An eine Begebenheit erinnerte er sich aber.

Es war ein paar Wochen her gewesen, da hatte er am Rande ein Gespräch gelauscht. Er lag abends in seinem Körbchen und war schon fast am schlafen, als es sehr spät an der Tür klingelte. „Guten Abend, die Polizei, dürfen wie eintreten. Es ist besser es drinnen zu besprechen.“ Leise tippelte er vor an die Türzarge und lugte ins Wohnzimmer, eine Polizistin und ein Polizist saßen mit der Mutter im Wohnzimmer am Esstisch. Ein weiterer Mann in einer violetten Weste saß auch dort. Die Mutter war erstarrt, dann brach sie in Tränen aus, zitterte am ganzen Körper und die Polizistin stützte sie und nahm sie in den Arm. Es dauerte eine ganz Weile. Dann übernahm der weitere Mann das Gespräch und redete ruhig und sich auf sie einlassend mit ihr. Es ging um Schmerz, Trauer, um einen Prozess und auch darum, was und wie es passiert war. Ihr Mann hatte sich wohl das Leben genommen, wenn Franz das richtig verstand. Draußen vor der Stadt auf freier Strecke am frühen Abend als der Zug sich näherte, den Bahndamm hoch gerannt und sich vor den in voller Fahrt befindlichen ICE geworfen. Am Tag drauf kam per Post ein Abschiedsbrief von ihm. Der Mann in der violetten Weste war da nochmal da gewesen, zum Glück, die Mutter las ihn gemeinsam mit ihm. Es war ihm alles zu viel gewesen, er sei mit sich selber nicht mehr klar gekommen, der eigene Sohn aggressiv, der ihn jeden verdammten Tag an seine eigene Kindheit erinnerte und an seine eigene Aggressivität, an seinen eigenen Vater, der genauso unfähig war wie er, emotional mit seinem Sohn umzugehen, als Mensch sich auf ihn einzulassen. Er könne es seinem eigenen Sohn nicht mehr länger antun und er sehe ja, was er anrichtet. Es sei damals ein Fehler gewesen, ihn zu bekommen. Damals hatte er schon große Probleme gehabt, wollte sich bereits als Teenager umbringen, sie haben dann gehofft, dass ein gemeinsames Kind ihn mehr stützt, Lebensfreude gibt und ihm hilft. Es könne nicht mehr. Er bittet um Verzeihung.

Franz war fassungslos. Sie hatten den Sohn „missbraucht“, „gebraucht“ um den Vater in seiner Psyche zu stabilisieren. Es wurde ihm da im weiteren immer mehr bewusst, warum bestimmte Dinge in dieser Familie so merkwürdig, so anders abliefen und passierten. Warum der Vater immer wieder jähzornig war, die Mutter weinte, der Sohn auf’s Zimmer musste oder selber schon wütend hoch rannte. Eine Chance hatte der Sohn eigentlich nie gehabt. Verzeihen konnte er ihm nicht, für das war er ihm angetan hatte, ein Stück weit sein Verhalten verstehen aber schon.

Sie gingen lange schweigend nebeneinander her.

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