Geschichten

Bobby-Luisa und die alte Frau

Fobby wachte auf und hatte seine Äuglein noch zu, als er eine Frauenstimme hörte. Gespannt machte er die Augen auf, hob den Kopf und sah direkt in das lächelnde Gesicht einer alten Frau. „Schau an, der kleine Bub is a wach.“ Irritiert schaute er zu Josef, der immer noch lag und der alten Frau seelenruhig zuhörte. Sie saß auf einem Baumstamm, neben ihr ein pechschwarze Labrador, seinen Kopf auf den Vorderpfoten liegend, schaute gelangweilt umher – als seien Einhörner für ihn das normalste der Welt. Den ersten Teil hatte Fobby nicht mitbekommen, aber wenn er es richtig verstand, kam die Frau vom Gestüt und war wohl mit ihrem Hund eine große Morgenrunde spazieren gewesen. „Alles gut.“ meinte Josef. „Die Frau ist Kassandra und war schon ganz früher, als ich noch ein Fohlen war, auf dem Gestüt. Ihr gehört es mit ihrem Mann zusammen. Sie war bei meiner Geburt dabei und hat sich die ersten Monate um mich gekümmert. Sie kannte natürlich meine Eltern und hatte immer wieder noch Kontakt zum alten Bauern gehabt.“

„Ich habe Dich gleich erkannt, als Du hier lagst, Josef.“ Sie streichelte Fobby. „Weißt Du, ich hatte Josef damals irgendwie ins Herz geschlossen, du warst anders. Und als der Bauer Dich für die Arbeit haben wollte, war ich traurig – aber irgendwie auch froh. Denn andere Besitzer kaufen Pferde von uns und bilden sie zu Springreitern aus. Da geht es nicht sonderlich zimperlich zur Sache, es passieren viele Unfälle und nur die wenigsten werden alt. Beim Bauern wusste ich, dass Du gut aufgehoben bist. Und es freut mich, dass Du nochmal hier bei uns vorbeischaust.“ Sie streichelte Josef und schlug ihm sanft am Hals. Josef fühlte sich wohl, hatte Fobby den Eindruck.

Kassandra erzählte noch eine ganze Weile was in der Zwischenzeit passiert war, dass Josefs Eltern schon tot sind, ihr Mann sei auch gestorben, ihre Kinder führen jetzt das Gestüt und wahrscheinlich würde niemand ihn unten mehr kennen, auch ihre Kinder waren damals noch zu jung, um ihn aktiv mitbekommen zu haben. Auch die Hunde sind neue, ihr Labrador hieß Charly der IIV., Fobby hatte sich mit ihm schon angefreundet und lag halb auf ihm drauf beim Zuhören. Sie schlug vor, dass sie nicht gemeinsam runter gehen, es sei eben eh alles neu, niemand würde Josef kennen und so behalten sie es als ihr Geheimnis, dass er da gewesen war. Sie zeigte ihnen aber noch eine Wasserstelle, wo frisches Gras war und sie sich vor dem Rückmarsch stärken konnten. „Ich komme Euch beiden auf der Koppel vom Bauern mal besuchen, schaue ab und zu mal vorbei und spreche mal mit dem Förster. Er hatte mal erzählt, dass da noch ein Pferd auf der Koppel ist, aber wir konnte es beide nicht zuordnen. Jetzt ist es mir klar! Natürlich, der Josef!“

Zum Abschied flossen Tränen bei allen, sie umarmte Josef am Hals und knuddelte Fobby, Charly gab ihm ein High-Five und grinste. Dann trennten sich ihre Wege und Kassandra ging zurück zum Gestüt und Josef und Fobby begannen ihren Marsch zurück auf dem Pfad nach Hause.

Sie kamen gut voran, kannten ja den Weg genau, machten wieder einmal Rast auf der Lichtung und kamen am Abend wieder an ihrer Koppel an. Beide waren müde vom Marsch. Sie schauten sich verwundert an, vor dem Heuschober lag Franz. Er schaut auf als sie näher kamen. Franz weinte, er hatte eine offene Wunde an der Hüfte und mehrere blaue Flecken am Körper. Auch am Kopf blutete er. Fobby schrie auf „WAS IST PASSIERT?“ und rannte auch Franz zu. Er sah Justus in etwas Entfernung stehen, er schien die Koppel zu bewachen. Josef kam auch näher. Fobby schaute Franz genauer an und begutachte seine Wunden, es sah schrecklich aus. Franz stammelte nur vor lauter Weinen und zitterte immer noch am ganzen Körper: „Er wollte mich umbringen, er wollte mich umbringen, der Junge und zusammen mit dem Junge von deiner Familie. Der war wohl zu Besuch und die Mutter war nicht da und in der letzten Zeit hatte sich der Junge eh schon sehr verändert, immer verbitterter und aggressiver, er fing schon an seine Mutter zu schlagen und auf dieser Spielekonsole spielten er immer Spiele mit ganz viel Schüssen, Geschrei und Lärm, ich hatte nur noch Angst, ich hätte schon viel früher abhauen sollen, so wie Du. Heute Mittag, sie waren allein, hatten den ganzen Vormittag diese schrecklichen Spiele gespielt und plötzlich kamen sie mit einem Baseball-Schläger und einer Zwille aus dem Zimmer gerannt und schrien „DA IST ER! DEN BRINGEN WIR UM!“ Ich lag gerade im Körbchen und ein Geschoss traf mich unvermittelt an der Hüfte, ein Schmerz durchfuhr mich und der Junge lud nach, der andere rannte auf mich zu und der Baseball schlug in meinem Körbchen ein, wo gerade noch mein Kopf gewesen war, ich war in Todesangst hochgeschnellt, die Schmerzen vergessen und rannte um mein Leben, das zweite Geschoss schlug knapp neben mir auf dem Parkett ein und blieb stecken, ich rannte und rannte, bekam mehrere Kurven nicht, schlug an der Wand an, bei einer knallte ich mit dem Kopf gegen eine Türzarge, kam irgendwie ohne mich zu überschlagen die Treppe runter, es schlug wieder was neben mir ein, Geschrei von oben, mein Ziel war nur die Katzenklappe in der Haustür, einer der Jungs stolperte wohl auf der Treppe und krachte runter, der andere lief einfach weiter, ich war draußen, der Junge hinter mir her, zum Glück war es der mit dem Baseball-Schläger und kam nicht mehr nah genug an mich ran, ich rannte in die Büsche vom Garten, da kam er nicht so gut hinterher und ich kannte mich besser aus, ich schoss auf die Straße raus, es kam zum Glück gerade kein Auto, rannte aber fast Justus über den Haufen, der die Lage relativ schnell einordnetete, er hasste den Jungen eh, ich ging hinter ihm in Deckung, der Junge kam aus der Gartenpforte und schrie „WO BIST DU?“ und stand direkt vor Justus. Keine Gute Idee! Justus knurrte ihn dermaßen an, machte ihm sehr deutlich, dass er hier der falsch Ort für ihn sei, der Junge ließ den Schläger fallen, machte sich tatsächlich in die Hose und rannte ganz schnell wieder ins Haus, die Haustür knallte, später sahen wir noch einen Krankenwagen zum Haus fahren, der Sturz von der Treppe vom anderen musste wohl heftiger gewesen sein. Das war mir egal.“

Josef und Fobby hatten gespannt zugehört und ihnen standen die Tränen in den Augen. „Und dann?“ Fragte Fobby vorsichtig. „Justus nahm mich mit zu seinem Haus, da war gerade niemand und hat mich erst mal in seiner Hundehütte versteckt. Deren Katze Laura hat versucht meine Wunden zu versorgen, zum Glück steckte nichts drin, Justus passte draußen auf und holte auf Anweisung von Laura Dinge. Sie haben sich rührig um mich gekümmert. Ich war nur am Weinen und am Zittern. Später ist Justus dann mit mir zusammen hier hoch, das war schlimm, mein Hinterlauf tat bei jedem Schritt weh und die Wunde schmerzte, ich habe Kopfschmerzen und mir tut alles weh.“ Justus kam zu ihnen. „Sieht gut aus, sie scheinen uns nicht gefolgt zu sein. Ich trabe mal wieder runter, Franz. Du bist jetzt in Sicherheit hier bei den beiden. Ich versuche heute Nacht in das Haus reinzukommen und dein Körbchen und deine Sachen zu holen, Laura wird mir helfen, beim Hochtragen hilft dann zumindest ein Stück Adonis, der Pitbull von dem Deppen-Poser gegenüber, keine Angst, Adonis ist okay und echt gechillt.“ „Danke für alles, Justus! Du hast mein Leben gerettet!“ „Passt scho! Für Dich immer, Scheiß Menschen-Schratzen! Ich kann unsere auch immer weniger leiden, Laura geht es genauso. Wascht am Bach die Wunde nachher und morgen früh noch mal aus. Wir sehen uns morgen, Kleiner! Halt die Ohren steif, das wird wieder!“ Justus lief zum Gatter und war im Wald verschwunden.

Josef und Fobby waren sprachlos, erschüttert und traurig.