On functioning
Funktionieren – es ist vor allem eine Erwartungshaltung eines gegenübers, die es definiert, es am Leben erhält, eine Grundlage gibt. Als Begrüßungsformel wird man gefragt: „Wie geht´s?“ „Ca va?“ „Ca va bien.“ Erwartet wird ein: „ja klar, natürlich und immer gut.“ Zudem gilt es aber auch als unhöflich dem Fragenden ganz offen seine Sorgen und Probleme auszubreiten, es wird einfach erwartet, dass es einem gut geht und interessiert sich auch nicht für mehr. Die Frage ist ein Andeuten von Interesse um selber als aufrichtig, bemüht und interessiert dazustehen – es geht hier nicht um den, der gefragt wurde. Aufrichtiges Interesse ist in einer Begrüßungsfloskel eh verloren am Platz.
Ernüchternd ist dann aber der weitere Verlauf von vielen Gesprächen, in denen es um alles mögliche geht; um die Nachbarin, was deren Sohn schon wieder gemacht hat, wer seinen Job verloren hat, wie unfähig X und Y und Z sowieso waren und Handwerker sind ja eh faul. Geht es wirklich mal um einen selber als gefragt werdenden, geht es um Themen wie Gesundheit, Familie, Kinder, ja wann kommen denn endlich welche, den Job, wie geht es der Firma, ist man weiter gekommen dort, wann steht die Beförderung denn nun an, wie du bist immer noch bei der gleichen Firma, ach du bist frustriert, also wenn du dir einen neuen Job sucht, dann bitte erst kündigen, wenn du den neuen wirklich unterschrieben hat, also niemals früher und wenn du einen Rat brauchst, Onkel YZ arbeitet ja auch fast in der gleichen Branche, also fast. Aber warum willst du da denn raus, du verdienst doch gut, der Job ist sicher, jetzt sei halt nicht so undankbar und sei gefälligst zufrieden mit dem was du hast, andere müssen in drei Vierhunderteurominijobs parallel schufften – Selbstverwirklichgung? Was für ein Quatsch! Einen Sinn im Job? Wofür, er ist sicher, gut bezahlt, zufrieden sein und basta! Wir konnten uns das früher auch nicht aussuchen. Oh, ach, ihr habt euch getrennt? Ja die war ja eh nichts für dich, die war egoistisch und hat nur an sich gedacht, die hat dich nur ausgenommen, warum warst du überhaupt mit der zusammen, also von meiner Nachbarin die Tochter ist gerade Single *zwinker* und ihre Schwester ist mit ihrem Freund schon zusammen seit sie sechszehn ist, seit zwanzig Jahren jetzt, haben schon fünf Kinder, man trennt sich halt nicht wegen solchen heutigen Kleinigkeiten, früher hielten Ehen einfach, Punkt. Und es wird ja eh alles … *piiiieeeep*
Ich habe gerade rein zufällig einen Tinitus bekommen und höre nicht mehr, in der Filtertheorie der Nachrichtentechnik sagt man eine Bandsperre draufgelegt und zack wird dieses Gerede ausgeblendet. In einer Begrüßungsformel ist kein aufrichtiges Interesse vorhanden, im weiteren Gespräch wird einem u. U. mal eine Minute Zeit gegeben, etwas von sich zu erzählen oder die wichtigen Dinge werden gleich direkt bohrend abgefragt und natürlich wird erwartet, dass man Erfolgsmeldungen nach Gesellschaftsschema F auflistet und die vorgefertigten Erwartungen der fragenden Person erfüllt – wirklich aufrichtiges Interesse auch wieder fehl am Platz. Werden die Erwartungen nicht erfüllt und weniger erfolgreiche Antworten gegeben, gibt es ein an-den-Kopf-Knallen selbiger verpackt in Ratschlägen gratis. Die Dampfwalze wurde zu spät gesehen und rollt über einen drüber … es lässt sich danach nicht erkennen, ob da irgendwo noch ein zartes Blümchen an aufrichtigem Interesse mal geblüht hatte aus dem Boden, alles ist platt gewalzt.
Warum können wir nicht zu-hören? Warum können wir nicht zuhören, also ein einfaches, unvoreingenommenes Hören was kommt und nicht ein Checkliste abhaken von eigenen Erwartungen auf den anderen transportiert und sofort reingrätschen mit Ratschlägen, wenn mal ein „Fail“ auftaucht?
Der deutsche Philosoph, katholischer Theologe, Buchautor, Referent, Komponist und Gründer des Gebetshauses Augsburg Johannes Hartl schreibt in seinem Buch „Einfach Gebet“ sehr passend: „Viele Gespräche zwischen Menschen sind genau das: halbes Hinhören und vorschnelles ‚Ich weiß, was Du sagen willst‘. Oder noch nicht mal das; dann geht es nur darum, das Eigene erzählen zu wollen. Denn echtes Hinhören ist nicht so einfach. Es bedeutet, vom Eigenen leer zu werden. Dem anderen Zeit zu schenken. Nicht schneller zu denken, als er oder sie sich mitteilt. Es bedeutet auch, gezielt und interessiert nachzufragen. Oft sind wir so voll mit unseren eigenen Gedanken, dass wir das echte Zuhören überspringen. So entstehen ‚Gespräche‘, die eigentlich keine sind, sondern die Aneinanderreihung von Monologen.“
Monologen, bei denen es nicht interessiert, wie es dem gegenüber geht, sondern es wird erwartet, dass er/sie ja eh funktioniert, denn: Würde er/sie nicht funktionieren, müsste man ja Zeit, Geduld, Aufmerksamkeit und Interesse aufbringen – sowas hält ab. Ein verdeckter Grund ist zusätzlich die eigene Scheu zu scheitern, wortlose Minuten aushalten zu müssen, wo keiner was sagt, Scham vor vielleicht bei einem selbst hochkommenden Dingen, vielleicht geht es einem selber ja gerade auch nicht gut, man funktioniert gerade nicht nach Gesellschaftsschema F und es könnten dann ja auch vielleicht Fragen zu einem selber aufkommen in diesem Gespräch, weil das gegenüber plötzlich aufrichtiges Interesse an einem selber zeigt.
Scham und Angst sind die stärksten Kommunikationsverhinderer, der beste Stoff für den Aufbau einer Maske, der beste Mörtel für eine gebaute Schutzmauer. Jeder bleibt für sich einsam dahinter, es wird nicht ehrlich kommuniziert, wie es einem wirklich geht. Jeder nimmt an, dass alle anderen funktionieren, es wird ja auch so nach außen gezeigt. Jeder spürt einen starken Druck auch funktionieren zu müssen, die Checklisten der Gesellschaftsschemata erfüllen zu müssen. Jeder fühlt sich selber schlecht, als Versager, als dem Vergleich nicht standhaltend. Jedem erhöht sich die aufzubringende Kraft, eigene Bedürfnisse werden mehr und mehr hintenangestellt, das Funktionieren funktioniert noch weniger. Der Druck nimmt zu, die Scham sich jetzt noch ehrlich zu zeigen ebenfalls und es geht in eine Angst über. Der ehemalige hinduistische Mönch Jay Shetty sagt passend: „Je mehr wir uns über andere definieren, desto verlorener sind wir.“
„Du bist keine Maschine mit kaputten Teilen. Du bist ein Mensch mit unerfüllten Bedürfnissen.“ [Johann Hari]
Lebe dein Leben, dein eigenes Leben.