Geschichten

Bobby-Luisa ist traurig

Ein paar Tage war er jetzt schon nicht mehr an der Koppel gewesen. Die Eltern hatte irgendwie mitbekommen, dass er länger unterwegs war, teilweise auch dreckig wieder kam und fragten sich, wo er gewesen war. Es gab quasi Stubenarrest. Er sollte daheim bleiben und sollte quasi immer da sein und bereit sein, wenn die Kinder spielen wollten oder kuscheln. Fobby war sauer! Er war doch kein Spielzeug! Ein Gegenstand, der alles über sich ergehen lassen muss! Auf Bereitschaft sich den ganzen Tag langweilen, nur um dann von den Kindern sowieso komplett ignoriert zu werden. Die hatten anderes im Kopf, die fanden Einhorner nicht mehr süß oder es nicht mehr knuddeln, die wurden selber cool und hingen mit den anderen Jungs ab. Einmal war einer von denen zu Besuch. Als er Fobby sah – er war schüchtern angetrabt gekommen und wollte schauen, ob sie vielleicht mit ihm spielen wollten – lachte er nur und meinte: „Wir haben auch So ein doofes Einhorn zu Hause, voll die Mädchen-Sache, keine Ahnung wieso meine Eltern daaas Ding angeschafft haben. Selbst meine Schwester spielt schon nicht mehr mit dem. So was von uncool!“ … Fobby senkte den Kopf, drehte sich um und ging wieder in sein Körbchen. Das tat weh. Tränen standen ihm in den Augen. Er ging zügig, er wollte sie den Kindern nicht zeigen. Der Junge rief noch hinterher: „Wenn meine Eltern nicht da sind, ärgern und piesacke ich unser Einhorn immer – das blöde Vieh!“

Er lag in seinem Körbchen und weinte. Innerlich stritt Trauer mit Wut in ihm, wer jetzt überwog. Er war so sauer auf den Jungen, vor allem tat ihm das andere Einhorn leid, was konnte das dafür – die Eltern der Kindern hatten es gut gemeint und ja, viele Jahre werden Einhörner von Kinder gemocht und über alles geliebt … und unter Einhörner war genau diese Situation auch bekannt. Man wurde irgendwann ignoriert und teilweise auch geärgert. Sie leben nun mal sehr lange und vor allem länger als Kinder klein sind. Er war traurig. Er selber war alleine, das andere Einhorn war alleine und wurde geärgert, Josef war alleine.

Eine Weile verging, er hörte die Jungs nebenan spielen und waren vertieft in irgendwelche Computerspiele. Er bekam den Satz mit „Lass uns zu mir gehen, ich habe noch das andere Spiel!“. Sie packen ihre Sachen und gingen raus. Fobby hatte ein Idee! Er schlich sich mit raus, die Eltern waren eh arbeiten und kamen vor frühem Abend eh nicht heim. Mit Abstand und wie man es in Krimis gelernt hat mit Observation und so, schlich er den Jungs hinterher. Zum Glück waren sie zu Fuß und nicht auf Rad oder Roller. Der andere Junge wohnte gar nicht weit weg, nur eine Straße weiter, sie verschwanden im Haus. Fobby konnte nicht mit rein, die Tür fiel zu schnell zu und sie hätten ihn bemerkt. Der Garten war auch so groß wie bei ihnen, das Haus sah eh ziemlich ähnlich aus – um nicht zu sagen gleich aus. Er musste vorsichtig sein, schlich durch den Garten und versuchte einen Blick ins Wohnzimmer zu bekommen … und da! Tatsächlich! Er sah ein Einhorn-Körbchen, es war aber leer. Dann bewegte sich etwas am Fenster oben. Etwas weißes und – tatsächlich – etwas mit einem Horn! Das Einhorn! Es blickte traurig aus dem Fenster und war wohl genauso alleine. Plötzlich rannte es aufgeschreckt weg, die Jungs hinterher und wollten es wohl fangen oder ärgern, sie warfen etwas nach ihm. Es schepperte, man hörte die Jungs schreien, „Da hinten ist es hin!“ Und rannten hinterher, eine Tür knallte, es flog wieder etwas, es war aber schnell genug und konnte flüchten. Die Hetzjagd fand durch das ganze Haus statt. Es tat Fobby sooo weh, dass mit ansehen und anhören zu müssen. Er konnte nichts tun und sie waren so gemein zu ihm. Sein armer Bruder!

Ein paar Minuten später war es den Jungs schon zu langweilig geworden und sie hatten etwas anderes gefunden – wahrscheinlich ihr blödes Computerspiel. Im Haus war Ruhe. Im Gebüsch neben Fobby raschelte es. Fobby erschrak und schaute sich um. Das andere Einhorn stand neben ihm, komplett außer Puste, verängstigt und es war wohl kein Schweiß in seinen Augen, sondern Tränen. Es weinte. Es hatte Fobby nur durch Zufall gefunden. Seine einzige Idee war gewesen, nur raus aus dem Haus und ohne Verletzung oder Sturz hatte es es zur Katzenklappe geschafft. Zweimal war die Kurve im Flur zu eng und der Boden zu rutschig und es hatte Prellungen an der Hüfte, das tat weh – aber nichts schlimmeres. Innerlich tat es viel mehr. Der Junge hat ihn mal über alles geliebt, sie hatten viel miteinander gespielt, viel gekuschelt. Oft hat er sich bei ihm ausgeweint. Seine Eltern leben jetzt in Scheidung und es gab all die Jahre eigentlich nahe zu immer Streit. Ein paar Mal flogen auch Hände ins Gesicht des anderen. Bei ihm hatte er sich getröstet, ins Zimmer eingeschlossen, ihn geschnappt, auf dem Bett eingerollt und lange geweint. – Und jetzt? Jetzt will er ihn quälen, ihm Schmerzen zufügen und behandelt ihn so abfällig.

Jetzt stand das Einhorn in dem Gebüsch neben Fobby – er hatte sich hier schon oft versteckt. Der Junge war schon oft böse zu ihm gewesen. Die Mutter war nie zu Hause, der Sohn konnte machen was er wollte. Beide schauten sich überrascht an. „Wer bist denn DU?“ Fragten beide gleichzeitig … eine Sekunde verging, dann mussten beide lachen. „Also ich bin Bobby-Luisa und wohne bei einer Familie gar nicht weit von hier. Das Haus sieht exakt genauso aus wie das hier. Und du?“. Dann andere Einhorn zögerte etwa, es hatte noch nie einen anderen Artgenossen gesehen oder gar getroffen: „Also ich bin Franz, ja, also, ich wohne hier bei dieser Familie hier und mir ist es etwas peinlich. Weil eine Familie ist schon lange nicht mehr, war es nie wirklich. Die Eltern sind schon ewig zerstritten, keine Ahnung wieso die überhaupt ein Kind bekommen haben. Seit einiger Zeit leben sie in Scheidung, der Vater ist ausgezogen. Die Mutter arbeitet den ganzen Tag und auch an Wochenenden. Der Junge kann machen was er will. Nach der Schulung kann er machen was er will. Es ist ja niemand da.“ Franz schaute traurig nach unten: „Und ich weiß nicht mal, wieso sie mich damals angeschafft haben?“

Fobby hat einen Kloß im Hals und die Tränen standen in seinen Augen: „Wieso denn?“ „Weil ich nur benutzt wurde! Ich wurde angeschafft, um den Jungen zu trösten, zu bespaßen, damit er einen Spielgefährten hat – nur damit die Erwachsenen weiter streiten können. Ein Katze gab es auch noch, die hat der Junge letzte Woche erschlagen. Einfach so. Sie lag auf dem Stuhl, den er benutzen wollte und sprang nicht sofort weg. Sie hatte auf ihn auch schon sehr lange keine Lust mehr. Der Junge ist einfach nur noch unerträglich und unberechenbar. Er nahm den Messerblock und warf in komplett auf den Stuhl. Die Katze reagierte nicht schnell genug. Sie war zum Glück sofort tot und hatte wenig Schmerzen. Ich musste alles mit ansehen. Mich schrie er dann an: „Du bist das nächste Drecksvieh, was ich erledige!“ Die Mutter musste abends die Sauerei dann wegmachen. Ich hatte die arme Katze da schon vorsichtig in den Garten getragen, ein Loch gegraben und beerdigt. Einen Stein habe ich drauf geschubst. Da vorne ist es. Ein paar Worte gesprochen. Wir haben uns gemocht. Keine besten Freude, aber respektiert, einander in Ruhe gelassen, ab und zu mal dem anderen etwas geklaut an Essen. Wenn es hart auf hart zu ging zusammengehalten. Gerade in der letzten Zeit. Kasimir hieß er. Jetzt bin ich komplett alleine. Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass er mich als nächstes umbringt. Er ist komplett unberechenbar. Es ist noch schlimmer geworden, seit er diesen anderen Jungen mit nach Hause bringt. In der Schule hat er wohl wenig Freunde, wird immer gehänselt, hat es schwer und der andere Junge ist jetzt wohl endlich mal ein Freund. Vorhin habe ich es zu spät bemerkt, dass sie zusammen reingekommen sind – sonst bin ich immer schon längst weg.“

Fobby musste schlucken. Der Kloß steckte noch fester im Hals: „Ich kenne den anderen Jungen.“ Franz guckte ich an: „Echt?“ „Ja, es ist der Sohn der Familie in der ich lebe. Er hat noch eine Schwester. Die Eltern sind auch wenig zu Hause, arbeiten viel, aber sind immerhin nicht geschieden – noch nicht. Er ist genauso alleine. Die beiden Jungs haben sich wohl zusammen getan.“ „Wie gehen sie mit dir um?“. „Die Eltern ganz gut. Habe eigentlich Stubenarrest, bin zu viel draußen herumgestrolcht. Die beiden Jungs waren vorher bei uns. Mich finden sie uncool, spielen nicht mehr mit mir. Ich bin ihnen egal, sprich in habe meine Ruhe. Weh tut es trotzdem! Ich hatte geschaut, ob sie vielleicht mit mir spielen wollen. Sie haben mich ausgelacht. Ich bin wieder gegangen. Der andere meinte aber, er würden ihr eigenes Einhorn immer ärgern und piesacken. Dann gingen sie hier rüber und ich bin hinterher geschlichen. Ich wollte einfach schauen, wie es dem anderen Einhorn ging.“

Franz lächelte und wollte Fobby am liebsten in den Arm nehmen.