Geschichten

Bobby-Luisa und Josef erzählt

Die Sonne ging bereits unter als sie am alten Gestüt ankamen. Sie blieben stehen und schauten. Der Wald öffnete sich in eine Ebene hinein, nicht weit entfernt stand ein großes Haus, daneben zwei große Ställe, dahinter etliche Koppeln. Auf mehreren standen Pferde, manche grasten, andere standen und schauten, andere liefen durcheinander. Eines schaute zu ihnen rüber. Durch die Ebene zog sich ein großer Fluß, es war genauso schön wie bei ihnen. Viele bewirtschaftete Felder und Wiesen mit Gras. Auf einer Wiese war noch eine Bauer beschäftigt sie zu mähen.

Der Weg, den sie zuletzt im Wald genommen hatten, führte weiter genau zum Gestüt runter. „Genau diesen Weg sind wir damals hoch und hier in den Wald rein. Der Bauer hatte beschlossen, dass das der kürzeste Weg sei und mit Pferd einfacher, als auf der Landstraße. Hier hat sich echt einiges verändert. Den zweiten Stall gab es damals noch nicht und es waren nur sechs Koppeln, jetzt gehen sie ja fast bis zum Horizont.“ Fobby war gerade dabei gewesen sie zu zählen. Er kam auf vierzehn. „Siehst du da die kleine in der Nähe vom Stall, da sind jetzt auch gerade drei Fohlen drauf. Das war und ist die Kinderstube. Man trennt nach ein paar Wochen die Stute vom Fohlen und der Nachwuchs hat dort gemeinsam seine Ruhe. Vor allem vorm Hengst – es ist zwar der eigene Vater, aber manchmal werden die extrem aggressiv den eigen Kindern gegenüber. Männliche Löwen fressen ihre eigenen Jungen auch schon mal. Tierreich eben …“ Fobby schaut traurig und merkt an: „Naja, bei Menschen geht es manchmal nicht anders zu, da prügelt der eigenen Vater auch regelmäßig auf den eigenen Nachwuchs ein, dabei sollte er ihn doch eigentlich lieben. Menschen sind auch merkwürdig.“

„Geboren worden bin ich dort links in dem kleineren, älteren Stall. War wohl nicht ganz unkompliziert, wollte zunächst nicht raus. Dann waren es schöne Tage gemeinsam in der großen Box mit immer frischen Stroh und konnte zu Kräften kommen. Nach einer Woche oder so durften wir gemeinsam raus auf eine kleine Koppel. Habe das erst mal auch andere Pferde gesehen auf den Nachbarkoppeln. Eigentlich war es eine schöne Zeit. Meine Mutter hat sich nur leider nicht immer so viel für mich interessiert. Sie stand häufig an dem zur Nachbarkoppel grenzenden Zaun und andere Pferde standen bei ihr. Das war etwas schade. Es vergingen so zwei oder drei Wochen, dann wurde ich ohne Vorwarnung oder dass es meine Mutter interessieren würde, auf die Nachwuchskoppel gebracht. Auf dem Weg dahin, kam uns eine Frau mit einem großen Hengst entgehen, er bockte, blieb stehen, schnüffelte an mir und wieherte freudig. Die Frau streichelte mich und meinte „Das ist dein Vater!“ Sie ließen uns einen kleinen Moment beschnuppern, ich streichelte meinen Kopf an ihm und er erwiderte es. Das war schön! Er war gar nicht böse. Wir sind uns danach noch ein oder zweimal begegnet. Die Menschen auf dem Gestüt, meistens waren für uns direkt zuständig Frauen – die schwere Arbeit übernahmen Knechte – und sie waren gut zu uns. Die wussten solche Dinge und haben uns Tiere auch die Zeit gelassen, wenn man sich begegnete. Abschiede waren immer traurig. Es wurde dort gezüchtet, damit gab es häufig Abschiede, weil wir weiterverkauft wurden. Man konnte es immer ahnen, wenn einer von uns extra gepflegt wurde und dann tags drauf ein großes, fremdes Auto mit Pferdeanhänger auf das Gestüt fuhr, dann war es wieder soweit. Manchmal waren es auch so Pferde-Transport-LKW. Dann hieß wieder Abschied und alle auf Koppel schauten aufgeregt, was passiert.“

„Dann war das bei Dir genauso – oder, Josef? Nur dass das Auto keinen Anhänger hatte und du da nicht rein musstest, sondern ein Wanderung vor dir hattest.“ Josef wieherte und grunzte fast: „Oh, was haben wir diese blöden Anhänger gehasst! Da wolltest du nicht freiwillig rein. Viel zu eng, im Sommer bekamst du keine Luft da drin, die reinste Sauna, du hast nicht raus gucken können und keine Ahnung wo es hin ging, dann rückwärts wieder raus, ohne sehen zu können, wo deine Hinterläufe aufsetzen. Wir haben sie gehasst. Es gab auch Anhänger mit Fenster vorne für uns, hatten mir welche erzählt. Die müssen ganz okay gewesen sein, du bekamst Luft und es war spannend. Du konntest die Landschaft beobachten. … bei der Wanderung hatte ich viel Zeit die Natur um mich herum zu beobachten. Die meiste Zeit ging ja durch den Wald und der Bauer hatte einen strammen Schritt, aber aber ich konnte die Natur um mich herum gang gut beobachten. Ab und zu machten wir kurze Rast, auch an der ersten Lichtung, immer wieder was getrunken, wo es ging und ich konnte mir den Weg so ganz gut merken. Viele Pflanzen, Bäume oder andere Tiere hatte ich so ja auch noch nie gesehen. Wir standen ja immer nur auf unserer Koppel und wurden ab zu auf den großen beritten, da ging es dann immer im Kreis. Mit Älteren wurde auch mal ein Ritt durch die Umgebung unternommen oder mit den Alten am Riemen mal eine Wanderung  gemacht, wir Junge waren nur auf den Koppeln. Das war langweilig. Irgendwie freute ich mich auch darauf, was wohl kommen wird. Ich musste dann ja sehr viel arbeiten, Transport, Feld, Wald – immer wenn sein Traktor irgendwo nicht hinkam oder es mit mir besser ging, wurde ich genommen. So war ich aber immer im Wald, mal im Dorf, mal andere Pferden gesehen, wir hatten immer viele Tiere auf dem Hof. Die anderen Pferde eben, aber auch immer Katzen, Hühner, mindestens einen Hund und unsere Koppel war bzw. ist heute ja riesig und jetzt kann ich ja auch raus, wenn ich selber will.“

„Fehlt dir dein Vater?“ fragt Fobby nachdenklich. „Ein bisschen schon. Ich hätte gerne mehr Zeit mit ihm gehabt.“ Eine Weile schwiegen sie. „Lass uns hier am Waldrand eine Sicht geschützte Stelle zum Schlafen suchen, es ist spät und der Tag war lang.“ Fobby schlief an Josef gekuschelt sofort ein wie ein Murmeltier und träumte die Nacht viel.