Einhorn Bobby-Luisa
Geschichten

Bobby-Luisa und der alte Gaul

Selten leben Einhörner in Wohnungen und selten sind die ohne Scheu vor Menschen. Bobbie-Luisa war schon immer ein besonderes Einhorn und seine Eltern hatte ihre Mühe mit ihm. Oft war er unterwegs, wenig zu Hause und noch weniger wollte er sich einsperren lassen. Er liebte die Freiheit und einfach machen können, was er wollte. Herumfliegen war ihm nicht möglich als Gattung der Land-Einhörner und damit ohne Flügel, das war aber egal. Die Beine sind zwar kurz und wirklich schnell galoppieren ist damit auch nicht möglich, aber auch hier denkt er sich – ist doch egal, ich habe meinen Kopf und meine Phantasie!

Mitunter dreht sich alles ihm alles, der Kopf arbeitet schnell und die Ideen, Phantasien und Bilder kommen einfach so. Es wäre schon schön schreiben zu können und sich alles direkt in einem Büchlein aufschreiben und skizzieren zu können. Menschen machen das. Die haben Hände und manchmal brodelt es genauso bei ihnen im Kopf und dann wird schnell ins Büchlein skizziert. Ein Einhorn kann dafür ganz andere Dinge. Bei Fobby, von Freunden wird er so genannt, ist das meistens Blödsinn! Rum kaspern, lachen, blödeln und den Tag einfach genießen, mit seinem Buddy Tyler rumhängen – andere Dinge die ein Einhorn machen kann: Genau, sie brauchen kein Futter! Es bleibt ihnen erspart sich den ganzen um Futter kümmern zu müssen, zu jagen, eine Wiese abzugrasen oder Früchte von Sträuchern abzuknabbern, wie Pferde auf der Weide. All diese Stunden haben sie für andere Dinge Zeit – wichtige andere Dinge.

Fobby trabt die Wiese entlang und genießt es immer morgens ganz früh draußen zu sein. Das Gras ist noch feucht, die Sonne geht gerade erst auf, Nebel steht tief und ein paar andere Tiere sind auch schon wach. Manchmal kommt ein Hase vorbei und grüßt oder der ein oder andere Vogel gesellt sich zu ihm. Die Koppel ist groß und man braucht eine Weile von der einen Seite zur anderen. Früher standen hier ganz viele Pferde drauf, es war dann schon immer etwas eng für ihn, weil er kleiner ist. Er musste etwas aufpassen zwischen den ganzen großen Tieren, dass er da nicht zwischen die Beine geriet. Das ist aber schon etwas her, er hat keine Ahnung was los ist, denn jetzt ist kein Pferd mehr da. Es steht nur noch ein uralter Gaul meistens in einer der Ecken und grast missmutig vor sich hin. Bisher hat er sich nicht getraut ihn anzusprechen.

Da ist er. Ein paar Minuten trabte er über die Weide bis er den alten Gaul sah, er stand in einer Ecke der Koppel, hinter ihm ging es leicht runter und man konnte in die Ebene schauen. Unten über dem Fuß stand noch richtig Nebel und vom Ort sah man nur die Kirche, Sonnenstrahlen kamen über die Anhöhe gegenüber und es war eine schöne Stimmung. Fobby wechselte vom Trab in den leichten Tölt und näherte sich. Immer wieder hatte er ihn gesehen – auch als noch viele Pferde auf der Koppel waren, fiel er auf. Er galoppierte nicht wild durch die Gegend und sprang nicht herum wie die anderen noch jungen. Er stand an seinem Platz oder ging gemächlich durch die Herde. Man machte ihm Platz, selten trabte er. Fobby hat Angst, er war sich nicht sicher. Nie hatte sich jemand mit ihm unterhalten, man wich respektvoll zur Seite. Das Fell war an vielen Stellen grau, aber die Mähne immer noch voll und schön. Ein erhabener Anblick – fast war es ihm unangenehm, ihn vorher „Gaul“ tituliert zu haben. Er graste vor sich hin, hob dann den Kopf und schaute den Hang hinab auf die im Nebel liegende Ebene. Und schaute eine ganze Weile, schien den Anblick fast etwas zu genießen – es war so, als würde er über etwas nachdenken.

Fobby stand vor ihm und nahm all seinen Mut zusammen: „Hallo?“.

Es dauerte eine Weile bis er den Blick in die Ebene löste, langsame den Kopf herüber drehte und nach unten blicke. Ein Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen und er schien sich über den Anblick zu freuen: „Na, kleiner Bub, was machst du hier?“ Im ersten Moment war Fobby verärgert, wie kann er ihn „klein“ und „Bub“ nennen – er war ein großes Einhorn! Dann bemerkte er aber doch den dezenten Größenunterschied und jünger war er ja nun mal. „Hallo!“ … „Wie heißt du?“ Fragte er mutig, obwohl ihm gerade es mulmig zu mute war. „Josef“ antwortete der alte Gaul. „Und du?“ „Bobby-Luisa und war schon oft hier, aber ich habe mich noch nie getraut, in deine Nähe zu kommen oder Dich anzusprechen. Früher waren noch viel mehr Pferde auf der Koppel, jetzt ist es so leer hier?“ Josef hob den Kopf und warf eine weiten, schwermütigen Blick über die Wiese, schaute Fobby wieder an: „Jaaaa, das ist schon eine Weile her. Weißt Du, immer wieder ist es mir so aber auch lieber. Mehr Ruhe, weniger Hektik, weniger Streit untereinander, weniger Gehabe … und mehr frisches Gras für mich.“ Fobby wundert sich. Selber würde er sich über so große Herde freuen, den ganzen Tag herumtollen, albern, galoppieren, dann mal was fressen, bisserl kuscheln, dann wieder herumtoben – einfach viele andere Pferde oder Einhörner um sich herum haben. Zu Hause bei der Menschenfamilie ist er alleine. Es gibt noch eine Katze, aber die ist ziemlich eitel und dumm. Liegt den gesamten Tag nur faul im Korb und wenn man sich ihr zu sehr nähert, haut sie einem unvermittelt mit Tatze und Krallen irgendwo hin – ziemlich dummes Tier. Fobby ist alleine zu Hause, auch die Kinder sind größer geworden und finden ihn nicht mehr so spannend. Er ist alleine.

„Ich bin nicht gerne alleine. Zu Hause bin ich alleine. Ich bin das einzige Einhorn, die Katze ist dumm und faul und die Kinder sind größer geworden. Ich habe niemanden zum Spielen, niemanden zum Unterhalten, zum Spaß machen, zum Rum rennen, zum Kuscheln. Deswegen bin ich viel draußen und war schon häufig hier an der Koppel und habe lange von außen zugeschaut, die Herde tollte herum und genoss das Beisammensein – ich stand außen und war allein. Ein paar Mal wollte ich mit galoppieren und dazu gehören, aber ich bin zu klein und musste aufpassen, nicht Hufe abzubekommen und drunter zu geraten. Ich habe es gelassen und jetzt sind sie weg.“ Josef hörte zu und musste bei der Katze lächeln. Es kam ihm bekannt vor, als er jung war, wollte er als Hengst auch so mit voller Kraft über die Weide galoppieren mit allen anderen zusammen sein, aber: „Du bist nicht alleine, Fobby! – Du hast Dich! Du hast einen aufgeweckten Charakter, der nach neuem sucht, der die Welt erkunden will, der andere anspricht und fragt und manchmal tut Ruhe und einfach etwas genießen auch gut. Das Leben ist wie eine Ansammlung von Jahreszeiten. Mal sehnt man sich nach Ruhe, mal hat man eine aktive Phase, eine kommunikative und könnte jeden umarmen, dann kann man sich auch mal selber nicht mehr leiden und willst niemanden sehen und du verkriechst dich, etwas später fehlen einem die anderen und man sucht Nähe, möchte sich austauschen oder einfach körperliche Nähe haben und sich geborgen fühlen und beschützt, ist man dann wieder stark, sucht man wieder mehr Freiheit … Es sind Jahreszeiten. Dazu kommt, man mit den Jahren älter, dann kommen manche Jahreszeiten seltener, andere dafür häufiger. Entscheidend ist, dass Du damit zufrieden bist und nicht immer genau das andere willst und das aktuelle als falsch darstellst und dich selbst geißelst. Es sind Gefühle, die muss man nicht immer unter Kontrolle haben, genieße das hier und jetzt – und nicht wie es vielleicht sein könnte – vielleicht besser sein könnte.“

Fobby musste über die Worte etwas grübeln. Es entstand eine Stille. Josef sah ihn an, seine Augen kreisten herum, sahen nach links oben, nach rechts oben, er fühlte förmlich wie es in seinem kleinen Kopf ratterte. Josef sah wieder in die Ebene. Der Nebel begann sich aufzulösen und die Sonne stand weiter oben. Lichtstrahlen versuchten einen Weg durch die Bäume auf der Anhöhe zu finden, manchmal waren auch Nebelschwasen im Weg. Ein schöner Ausblick war es von hier oben von der Koppel aus – gerade in den Morgenstunden. Fobby fand so langsam klarere Gedanken … „Schau, kleiner Bub! Der Anblick. Deswegen bin ich gern hier. Stille. Gedanken. Hören. Schauen. Beobachten. Spüren. – Sonst nichts.“ Fobby schüttelte den Kopf, es sah so aus als wollte er wollte etwas abschütteln. Hob den Kopf und sah auch in die Ebene hinab. Er stellte seine Vorderhufen auf einen der Zaunquerbalken, um besser sehen zu können. … Beide schauten lange einfach nur in die Ebene. Schauten zu, wie der Nebel sich ganz langsam bewegte, die Sonnenstrahlen ganz langsam ihren Winkel änderten, ein Adler zog große Kreise oben in der Luft und in den Bäumen unten hörte man hektisch Spatzen herumfliegen. Die Luft roch frisch, noch feucht, noch nach Kälte. Die Wiese, in der sie standen, war auch noch feucht. Er spürte die Feuchtigkeit an den Hinterläufen. Es vergingen Minuten, beide schauten einfach und fanden immer etwas neues, nach dem sie schauten. Die Gedanken waren frei. In Fobbys Kopf war Ruhe.