Einhorn Bobby-Luisa
Geschichten

Bobby-Luisa ist allein

Am nächsten Tag trabte Fobby wieder zur Weide. Zu Hause war es langweilig, die Eltern arbeiteten und die Kinder waren in der Schule und danach beim Sport und dann bei Freunden. Sie spielten immer weniger mit ihm. Früher fanden sie ihn süß und Einhörner generell und sie wollten am liebsten den ganzen Tag mit ihm spielen und kuscheln. Er wurde selber älter und die Kinder auch und in letzter Zeit hörte er die Kinder sogar zur Mutter sagen: „Kuscheltiere sind uncool.“ Das schmerzte ihm und er begann die Kinder zu meiden. Sie mieden ihn auch. Er war alleine. Die dumme und faule Katze war froh über die Ruhe, er nicht. Er wollte Gesellschaft, aber auch auf der Koppel waren keine Pferde mehr. Was war los?

Der hölzerne Zaun war schon von weitem zu erkennen. Die Koppel ging über eine Anhöhe hinweg und von unten kommend konnte man sie nicht komplett überblicken. Also war also manchmal eine Überraschung, z. B. wenn er drauf getrabt war und er erst dann sah, dass die gesamte Herde hinten gewesen war und gerade im Galopp auf ihn zu kam. Das erste Mal flüchtete er so schnell er konnte wieder zurück hinter den Zaun. Ein anderes Mal blieb er mutig stehen und schaute sie grimmig an. Im Galopp kamen sie auf ihn zu, um dann direkt vor ihm zu scheuen, aufzusteigen und neben ihm runterkamen und seitlich weg trabten. Das war schon ein cooles Gefühl gewesen! Nur jetzt sind sie alle weg. Fobby war traurig.

Er ging weiter. Langsam, der Kopf hing und der Schritt war schwer. Tiefnebel hing über der Anhöhe, es war ein grauer März Tag. Die Sonne kam nicht durch und die Stimmung war drückend. Wo war er alte Gaul? Josef hieß er. Letztes Mal war es total schön bei ihm gewesen. Er war weise und erfahren und konnte auch die einfachen Dinge genießen. Die Hufen streiften weiter durch das feuchte Grasen. Da! Da stand er, wieder am Zaun am anderen Ende der Koppel mit erhobenem Kopf und Blick ins Tal – obwohl die Sicht gar nicht so gut war. Dann senkte er den Kopf wieder und fraß weiter. Fobby stand da und schaute einfach. Schaute sich Josef an und fragte sich, was wohl gewesen wäre, wenn er ihn schon früher gefragt hätte und sie sich jetzt schon lange kennen würden. Er war einsam.

Josef schaut hoch, in seine Richtung und rief: „Da bist du ja wieder, kleiner Bub!“ Fobby hasste diese Bezeichnung, aber irgendwie war sie ja lieb gemeint und er freute sich, dass Josef ihn wiedererkannte. „Hallo, Josef!“ Er kam näher und schaut zu ihm hoch. „Wie geht es Dir?“ ein Moment verging und Josef antwortete: „Gut. Ich könnte immer hier stehen und einfach nur schauen.“ Fobby warf auch einen Blick in die Ebene, dieses Mal war er eben trüb und mit wenig Sicht  ins Tal hinab. „Besucht Dich auch jemand anders hier oben?“. „Nein. Ich bin meistens alleine. – Manchmal schaut ein Eichhörnchen vorbei oder ganz früh am Morgen kommen ab und zu zwei oder drei Rehe und schauen, sind dann aber immer wieder schnell weg. Tagsüber kreist ein Adler über der Ebene und ab und zu habe ich den Eindruck, dass er rüber schaut. Menschen waren schon lange nicht mehr hier oben.“ Fobby muss etwas grübeln und erinnert sich, welche Dinge für ihn komplett selbstverständlich sind … „Aber wer versorgt Dich dann hier auf der Koppel, also Wasser und so?“. „Es gibt links rüber an der Ecke Einen Bach, der hat klares, leckeres Wasser, genug Wasser und Grass zu fressen gibt es hier mehr genug. Nur der Winter ist etwas mühsam. Manchmal kommt da aber der Förster und bringt Heu. Das geht schon.“ „Aber dann hast Du ja gar keinen warmen Stall, also auch im Winter nicht?!“ „Nein … Das geht aber schon.“ Fobby setzt sich auf die Hinterläufe und ist ganz konsterniert, Josef ist wirklich einsam und fast niemand kümmert sich um ihn. Für ihn ist es selbstverständlich etwas zu Fressen zu haben zu Hause, der Napf wird brav immer nachgefüllt und im Winter ist er meistens drinnen am warmen Ofen und schaut sich das Schneetreiben draußen durch die Terrassentür an. Aber komplett draußen leben und so gar keinen Schutz haben, nein, das könnte er nicht. Einsam war er auch, aber er hatte zumindest ein warmes zu Hause. Josef tat ihm leid. Er wollte ihm helfen.

„Wo ist denn der Bauer? Und warum sind denn die anderen Pferde alle weg?“ Fobby klang traurig. „Der Bauer ist vor einer Weile gestorben, alt war er, sehr alt und war nachts einfach ganz tief eingeschlafen und am Morgen nicht mehr aufgewacht. Er hatte ein mühsames Leben, aber auch ein gutes. Er war glücklich gewesen, er hatte immer Tiere gehabt, meistens für die Arbeit, uns Pferde teilweise für die schwere Waldarbeit oder die Ackerarbeit. Er hat uns immer gut behandelt, immer respektiert, wenn wir nicht mehr konnten. Wir möchten ihn, abends war immer einer zum Kuscheln da – meistens die Hunde oder die Katzen. Hatte er mal Freizeit ist er mit uns Pferden auch einfach mal ausgeritten. Seine Frau war früh gestorben, Autounfall, das war tragisch, irgendwie hat er es weggesteckt, hat aber auch viel einfach uns erzählt, was ihn umtreibt, was ihm wehtut, die Trauer, die richtig große Trauer. Wir konnten natürlich nicht antworten oder ein Gespräch mit ihm führen, aber wir haben alle zugehört und ihm eine Schulter geboten oder einfach gekuschelt. Es gab Abend, da hat er viel geweint. Einen anderen Menschen hatte er nicht, das Ehepaar lebte alleine auf dem Hof und hatten wenig Freunde. Er war dann alleine.“ Fobby merkte wie Josef mit den Tränen zu kämpfen hatte. Seine eigenen Sorgen kamen ihm so klein vor.

„Weißt Du, kleiner Bub, manchmal muss man einfach mit dem zufrieden sein, was man hat. Träume sind wichtig, aber nur träumen hilft nicht. Der Bauer hat auch das Beste draus gemacht. Er hatte uns und wir hatten ihn. Er liebte die Natur und draußen sein und das alles hatte er noch. Er war zufrieden – nur nicht mehr so glücklich wie früher – aber zufrieden. Als er starb war es ein Schock für uns alle. Wir wussten nicht was kommen wird. Wir kamen alle ganz gut zurecht, nach einer Weile tauchten junge Menschen auf. Es waren wohl ihre Kinder und schauten sich den Hof an, die Koppel, die Herde von uns Pferden und welche Tiere es gab. Uns war allen klar, dass sich alles ändern wird. Innerhalb weniger Tagen wurden alle Pferde verkauft, alle einzeln, wir wurden alle getrennt und verabschiedeten uns vorher schon. Die Katzen waren getürmt und leben jetzt selbstständig draußen, die Hunde wurden verschenkt und wurden hoffentlich zu freundlichen Familien gegeben. Tja, und irgendwann war der Spuk vorbei, der Hof war ausgeräumt und verkauft, steht seitdem leer und alle Tiere waren weg. Da wurde mir dann bewusst, dass sie mich einfach vergessen hatten. Beim Begutachten der Herde wurde ich nur mit einem Blick abgetan, der ist eh alt und stirbt bald, lassen wir ihn hier, das erledigt sich von allein. …. Tja und ich stehe hier immer noch, ich wüsste wie ich aus der Koppel raus kämen, aber will ich gar nicht. Wie gesagt, ab und zu ist der Förster hier oben und guckt einmal, ob ich noch da bin. Ich bin zufrieden hier.“ „Aber alleine?!“ „Ja und ich vermisse ein paar der Hunde, die waren echt cool drauf und wir vertrauten einander. Zu den anderen Pferden hatte ich eher nicht so den wirklich engen Bezug. Es wäre schön, wenn einer der Hunde hier geblieben wäre, dann könnten wir hier zusammen am Abend ins Tal blicken oder hier gemeinsam die Zeit verbringen, philosophieren und einfach nur da sein.“

Fobby war bedrückt und spürte die Trauer hochkommen. Er schwieg. Er fühlte mit Josef und gleichzeitig fühlte er sich genauso alleine und hatte gern jemanden bei sich. Er wollte Josef in den Arm nehmen – was aber ja nun nicht geht. Er kam näher und drückte sich an seinen Vorderlauf. Er wollte Nähe … Josef schaute zunächst, fand es dann aber schön und genoss es. Es tat gut.